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Swing im Dämmerlicht

Das Jüdische Museum ist ein Jahr alt / Im Rafael-Roth-Zentrum wird Geschichte auf vielerlei Art erzählt

Während am Freitag im Garten bei Mazze und Musik das einjährige Bestehen gefeiert wurde, steht man unten im Keller im Halbdunkel. Die fröhliche Musik setzt ganz plötzlich ein. Und überraschend. Auf dem Bildschirm ist ein älterer Mann mit freundlichem Gesicht zu sehen. Er erzählt, wie er im Konzentrationslager Auschwitz "La Paloma" spielen musste, für die Juden, die auf dem Weg in die Gaskammer waren. Später klickt das Paar, das vor dem Bildschirm sitzt, auf das Foto vom Groschenkeller, einer Gaststätte, in der der junge Berliner Swing-Gitarrist, der damals noch Heinz Schumann hieß, auftrat. Das Foto, eine Schwarzweiß-Aufnahme, wird größer. Dann erscheint eine Aufnahme des Kurfürstendamms bei Nacht, aufgenommen Anfang der 30er-Jahre - ein in strahlendes Licht getauchter Boulevard, die richtige Kulisse für den Swing, bevor die Nazis ihn als "Negermusik" diskreditierten. Die Geschichte von Coco Schumann ist eine von zehn Geschichten, die das Rafael-Roth-Lernzentrum im Kellergeschoss des Jüdischen Museums für die Besucher bereithält. Sie beschäftigen sich zum Beispiel mit jüdischer Küche, mit christlichen Judenbildern oder den Salons im Berlin des 18. Jahrhunderts. Zwei neue Geschichten sind gerade hinzugekommen. "Transit nach Amerika" handelt von der Auswanderung osteuropäischer Juden in die USA. "Nesthäkchen" bietet einen Einblick in die Biografie der Berliner Jugendschriftstellerin Else Ury, der Verfasserin der gleichnamigen Mädchenbuchreihe. Fünf weitere Geschichten sind in Vorbereitung, eine über das Exil in Schanghai von 1933 bis 1945 etwa, eine andere über jüdische Räuberbanden.

An 19 Bildschirmen können sich die Museumsbesucher den multimedial mit Interviews, Filmausschnitten, Fotos oder Zeichnungen, Landkarten, Kunstgegenständen und vielen Texten aufbereiteten Geschichten nähern. Kurz und eher oberflächlich, aber auch mit viel Zeit und ausführlich - die Geschichten seien so konzipiert, dass beides möglich sei, sagt Jutta Strauss, die wissenschaftliche Leiterin des Lernzentrums. Es gibt Einzelbildschirme, aber auch größere Bildschirme vor denen kleine Gruppen Platz nehmen können, und einen sehr großen, vor dem eine ganze Schulklasse Platz hat. Ein anderer wichtiger Aspekt im Lernzentrum ist die Interaktion. Man sitzt nicht passiv vor dem Bildschirm, sondern kann selbst wählen, womit man sich auseinander setzen will. Neben den Geschichten findet man im Lernzentrum auch ein Lexikon, in dem jüdische Begriffe erklärt werden, sowie einen Katalog, in dem man mehr über Ausstellungsstücke aus dem Museum erfährt.

Der Berliner Unternehmer Rafael Roth hat die Einrichtung des Lernzentrums mit einer Spende ermöglicht. Er sei von einem ähnlichen Medienzentrum im Holocaust-Museum in Washington so beeindruckt gewesen, sagt Jutta Strauss. "Der Holocaust hat uns mit einem Fluch belegt", sagte Rafael Roth in einem Interview mit dem Museums-Journal. "Der nachträgliche Sieg Hitlers über uns ist, dass Juden nur noch als Opfer wahrgenommen werden." Von dem Museum erhoffe er sich, dass es auch die Leistungen seiner Vorväter dokumentieren werde.

Vor der Coco-Schumann-Geschichte sitzen immer noch der Mann und die Frau. Musik kommt aus dem Lautsprecher. "It don't mean a thing, if it ain't got that swing" heißt das mitreißende Stück. Der Mann vor dem Bildschirm wippt im Takt der Musik. Rafael Roths Hoffnung scheint in Erfüllung zu gehen.

von Susanne Lenz, Berliner Zeitung, Samstag, 14. September 2002

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